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Achtsamkeit im Kontext Schule

Sich auf den Moment einlassen, wach, aufmerksam und richtig zugegen sein, bei sich selbst ankommen, Ruhe finden: All das verbinden Menschen mit dem Begriff Achtsamkeit. Aber was verbirgt sich dahinter? Esoterik im modernen Gewand oder ein fundierter Ansatz? Und inwiefern können Schule und Lernende davon profitieren? Mit diesen Fragen haben wir uns befasst. Heute möchten wir Ihnen unsere Gedanken vorstellen.

 

Was ist Achtsamkeit?

Der Achtsamkeitsansatz basiert auf althergebrachten buddhistischen und fernöstlichen Lehren, die die bewusste, wache Präsenz im aktuellen Moment ins Zentrum stellten. Nach Jon Kabat-Zinn, dem heute bekanntesten Vertreter, umfasst Achtsamkeit „den Akt des wertungsfreien, absichtlichen sich Konzentrierens und sich bewussten Hinwendens zu den Erfahrungen im Hier und Jetzt“ (Kabat-Zinn, 2003).

Jon Kabat-Zinn stammt aus den USA und ist Molekularbiologe und Arzt. Er unternahm mehrere Reisen durch Asien und kam in diesem Rahmen mit den positiven Auswirkungen der Meditation in Berührung. Diese wollte er nach seiner Rückkehr seinen Patientinnen und Patienten nahebringen. 1979 entwarf er ein achtwöchiges Programm zur achtsamkeitsbasierten Stressreduktion, bei dem er die spirituellen Aspekte in den Hintergrund treten ließ und die Meditationsübungen umwandelte. Heute ist es weltweit bekannt.

In den 1990er-Jahren erlangte Achtsamkeit auch in der westlichen Kultur Bekanntheit. Vor allem in der Psychologie stieß das Konzept auf großes Interesse. Wesentlich waren drei Aspekte: Achtsamkeit als ein theoretisches Konstrukt, Achtsamkeit als eine Interventionsform beziehungsweise Tätigkeit und Achtsamkeit als ein psychischer Zustand.

Achtsamkeit als theoretisches Konstrukt interessiert vor allem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Sie möchten klären, wie sich Achtsamkeit am besten definieren und wie sie sich von anderen Ansätzen abgrenzen lässt, ebenso, welche Prozesse an der Achtsamkeit beteiligt sind.

Achtsamkeit als Interventionsform schließt Achtsamkeitsübungen ein, bei denen man sich zum Beispiel ganz bewusst auf die eigene Atmung konzentriert oder die Aufmerksamkeit auf einzelne Körperteile lenkt (Body-Scan). Aber auch ganz alltägliche Aufgaben können zu Achtsamkeitsübungen werden, beispielsweise das Gehen und das Geschirrspülen. Die folgende kleine Geschichte illustriert, was mit solchen achtsamen Alltagshandlungen gemeint ist:

 

„Warum sind Sie so zufrieden, so glücklich?“, wollten die Schülerinnen und Schüler von einem buddhistischen Mönch wissen. Dieser antwortete: „Wenn ich stehe, dann stehe ich, wenn ich gehe, dann gehe ich, wenn ich sitze, dann sitze ich, wenn ich esse, dann esse ich…“

„Ja, das tun wir doch auch“, erwiderten die Schülerinnen und Schüler, „aber sagen Sie, was tun Sie darüber hinaus?“, fragte die Gruppe erneut. Der Mönch entgegnete: „Wenn ich stehe, dann stehe ich, wenn ich gehe, dann gehe ich, wenn ich sitze, dann sitze ich, wenn ich esse, dann esse ich…“

Die Schülerinnen und Schüler wurden unterdessen immer unruhiger: „Aber das tun wir doch auch, Meister!“ Da gab der Mönch zu bedenken: „Nein – wenn ihr sitzt, dann steht ihr schon, wenn ihr steht, dann lauft ihr schon, wenn ihr lauft, dann seid ihr schon am Ziel.“

 

Achtsamkeit ist also nicht nur etwas, das praktiziert wird, sondern eine umfassende Haltung, ein persönlicher Zustand, in dem man aufmerksam im Hier und Jetzt präsent und gleichzeitig offen für (neue) Erfahrungen ist. Die Fähigkeit dazu zeigt sich bei verschiedenen Menschen in unterschiedlicher stark Ausprägung. Achtsamkeit lässt sich aber trainieren.

 

Warum Achtsamkeit?

Viele Menschen leiden heute unter einer hohen Taktung ihres Alltags, unter Informationsüberflutung und einer permanenten Ablenkung. Die meisten von uns kennen das Gefühl, gedanklich ständig woanders zu sein. Bereits Grundschulkinder klagen darüber, dass es ihnen schwerfällt, zur Ruhe zu kommen und abzuschalten, und Lehrpersonen äußern zunehmend die Sorge, dass die Konzentrationsspanne der Kinder immer kürzer werde und die Fähigkeit, sich gänzlich auf etwas einzulassen, verlorengehe. Diese Zerstreutheit sorgt dafür, dass sich immer mehr Menschen von sich selbst, ihren Mitmenschen und ihrer Umwelt entfremdet fühlen. Das ist ein Problem, denn um glücklich und gesund zu sein, benötigt der Mensch eine lebendige Verbindung zu seiner Umwelt – seiner Familie, Freundinnen und Freunden und auch zu seiner Arbeit, wie der Soziologe Hartmut Rosa betont.

Dieses Gefühl von Verbundenheit kann sich einstellen, wenn es uns immer wieder gelingt, achtsam im Hier und Jetzt zu sein, denn Achtsamkeit ermöglicht es, klar zu sehen, in unser Inneres zu blicken, aber auch, die Außenwelt bewusst wahrzunehmen.

 

Achtsamkeit in der Schule – Forschungsbefunde

Erste Forschungsergebnisse zu den positiven Auswirkungen auf die Psyche und den Körper trugen dazu bei, dass achtsamkeitsbasierte Verfahren Einzug in die Psychotherapie und die Medizin, aber auch in das Bildungswesen und die Arbeitswelt hielten. Zwei führen wir hier exemplarisch an.

Die Forscherinnen Carsley, Khoury und Heath veröffentlichten 2017 eine Metaanalyse zu 24 Studien mit fast 4000 Schülerinnen und Schülern zur Wirksamkeit von Achtsamkeitsübungen in der Schule. Über die Studien hinweg konnte gezeigt werden, dass sich Achtsamkeitsübungen positiv auf das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen auswirkten. Gefühle von Stress, Angst und Niedergeschlagenheit konnten reduziert werden. Sowohl Grundschulkinder als auch an weiterführenden Schulen unterrichtete Jugendliche profitierten von Achtsamkeitsprogrammen. Die Effekte hielten in der Gruppe der 15- bis 18-Jährigen am längsten an. Dies kann verschiedene Gründe haben: Die in den Studien verwendeten Achtsamkeitsübungen wurden ursprünglich für Erwachsene konzipiert, sodass sie den älteren Lernenden wahrscheinlich am meisten entsprachen. Möglicherweise waren ältere Jugendliche auch besser in der Lage, die Übungen nach dem Ende des Programms selbstständig weiterzuführen. Gleichzeitig gehen einige Forscherinnen und Forscher davon aus, dass die Jugendzeit ein „Fenster der Möglichkeiten“ (Roeser und Pinela, 2014) darstellt, weil in dieser Phase Umbauprozesse in spezifischen Gehirnregionen und Netzwerken stattfinden, die die Jugendlichen einerseits offener für Achtsamkeitsübungen machen, andererseits durch Achtsamkeitsübungen gestärkt werden können.

Zuvor hatten Zenner, Herrnleben-Kurz und Walach (2014) in ihrer Analyse von 24 Studien mit mehr als 1300 Schülerinnen und Schülern von der ersten bis zur zwölften Klasse zeigen können, dass Achtsamkeitsübungen nicht nur die Widerstandsfähigkeit gegen Stress erhöhten, sondern auch die kognitive Leistungsfähigkeit.

 

Achtsamkeitsübungen im Unterricht

Es gibt verschiedene Achtsamkeitsübungen, die sich für den Unterricht eignen. Eine davon erachten wir als besonders ansprechend. Sie ist unter dem folgenden Link abrufbar: https://www.fritzundfraenzi.ch/video/achtsamkeit-uben-im-klassenzimmer/

 

Anleitung Achtsamkeitsübung

 

„Setz dich bequem hin, vielleicht stellst du beide Füße auf den Boden. Leg deine Hände gemütlich auf die Oberschenkel. Und jetzt achte einfach darauf, was du siehst… du kannst dir etwas Zeit dafür nehmen.

Jetzt kannst du die Augen schließen oder einfach nach unten schauen – wie es dir lieber ist. Achte darauf, was du hörst… nimm alle Geräusche um dich herum wahr…

Wenn du willst, kannst du deinen Körper wahrnehmen: wie sich deine Füße auf dem Boden anfühlen, … wo du den Stuhl spürst, auf dem du sitzt… Wie fühlen sich deine Hände an?… Deine Schultern? ….

Achte auf deine Atmung… Wo bewegt der Atem deinen Körper? Wie fühlt sich das Einatmen an?… Wie fühlt sich das Ausatmen an?… Wo kannst du den Atem in deinem Körper spüren?

Wenn du merkst, dass du dich in Gedanken verlierst, dann nimm sie wahr… und wende dich wieder deinem Atem zu.

Nimm dir noch einen kleinen Moment für dich. Wenn du bereit bist, kannst du langsam hierher zurückkommen… Wir reiben die Hände und sind ganz wach.“

 

Im Anschluss leitet die Lehrperson einen Erfahrungsaustausch an („Wie ging es euch heute mit der Übung?“). Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die Antworten der Schülerinnen und Schüler weder von der Lehrkraft noch von den anderen Schülerinnen und Schülern bewertet werden. Es geht nicht darum, die Übung besonders gut oder richtig auszuführen, sondern darum, das eigene Erleben zu teilen. Auch gilt es zu bedenken, dass Achtsamkeit ein Zustand ist, der Training erfordert. Daher ist es selbstverständlich, dass sich nicht alle Kinder gleichermaßen auf die Übung einlassen können. Gerade unaufmerksame, unruhige Kinder empfinden diese Übungen anfangs oft als langweilig, und es kann ihnen schwerfallen, sich ganz auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Es ist hilfreich, wenn sie dies als Teil des Prozesses annehmen und akzeptieren können.

Manchmal drängen sich im Zuge von Achtsamkeitsübungen auch belastende Gefühle oder Gedanken in den Vordergrund. Daher ist es wichtig, dass die Teilnahme freiwillig erfolgt und jederzeit abgebrochen werden darf.

Achtsamkeitsübungen wie diese können beispielsweise morgens zur Einstimmung auf den Unterricht oder als Pause eingesetzt werden.

 

Wir freuen uns, wenn Sie die Übung ausprobieren und uns von Ihren Erfahrungen berichten.

 

Referenzen

Carsley, D., Khoury, B. & Heath, N. L. (2017). Effectiveness of mindfulness interventions for mental health in school: A comprehensive meta-analysis. Mindfulness, 9(3), 1–15. doi.org/10.1007/s1267.

Kabat-Zinn, J. (2003). Mindfulness-Based Interventions in Context: Past, Present, and Future. Clinical Psychology: Science and Practice, 10(2), 144–156. https://doi.org/10.1093/clipsy.bpg016.

Roeser, R.W., & Pinela, C. (2014). Mindfulness and compassion training in adolescence: a developmental contemplative science perspective. New directions for youth development, 142, 9–30. DOI:10.1002/yd.20094.

Zenner, C., Herrnleben-Kurz, S., & Walach, H. (2014). Mindfulness-based interventions in schools-a systematic review and meta-analysis. Frontiers in psychology, 5, 603. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2014.00603.