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Entspanntes Lernen durch Nutzung des richtigen Lernkanals

Im Lernen mit Kindern kann das Wissen um den richtigen Lernkanal nützlich sein. Machen Sie sich bewusst, dass Sie nicht automatisch die gleichen Sinnes- und Wahrnehmungskanäle bevorzugen wie Ihre Kinder. In einer Familie können die Vorlieben sehr unterschiedlich ausfallen. Wünschenswert wäre es, dass Kinder lernen, dies mit Blick auf andere Menschen, seien es Geschwister, Eltern, Lehrer*innen oder Mitschüler*innen, einzuschätzen.

Manchmal aber funktionieren wir so automatisiert, dass es eine ganze Weile dauert, bis wir bestimmte Zusammenhänge erkennen.

Die folgende Szene ist vielleicht dem einen oder anderen Lesenden in dieser oder einer ähnlichen Form bekannt.

Im Laufe des Nachmittags ruft der Sohn nach seinem Vater und bittet ihn um Unterstützung bei seinen Mathematikhausaufgaben. Mit der Bemerkung „Ich verstehe Mathe nicht!“ löse er aus, dass der Vater sich das Mathematikbuch geben lässt: „Zeig mal. Was habt ihr denn auf?“

Laut liest er die Aufgabe vor. Sein Sohn wirft plötzlich ein: „Ach so. Muss ich da … ?“ Er erklärt die Aufgabe mit seinen Worten, sein Vater stimmte ihm zu und wundert sich ein wenig, dass er die Aufgabe zuvor nicht verstanden hat. Was ist hier passiert?

Ganz einfach! Sein Sohn hat sich das Lesen gespart! Er lässt sich lieber vorlesen, denn ein engagierter Leser ist er nicht. Unbewusst hat er eine Strategie entwickelt, die seinen Hörkanal anspricht, indem er seinen Vater bittet, ihm die Aufgabe vorzulesen, und hat sich selbst damit eine Gelegenheit des lauten Erklärens eröffnet.

Dieses Wissen um den geeigneten Lernkanal kann für schulische Aufgaben jeglicher Art dienlich sein, zum Beispiel für Aufsätze oder Referate: Ein Aufsatz ist umso spannender, je mehr Kanäle des*der Lesenden angesprochen werden. Was sehe ich? Was höre ich? Wie fühlt es sich an? Eine Kombination aus Fakten, Bildern, Diagrammen, Geschichten beziehungsweise Anekdoten, im Wechsel spannend vorgetragen, gestaltet ein Referat für ein breites Publikum interessant und erhält die Aufmerksamkeit aller Mitschüler*innen aufrecht.

Erfahrungsgemäß wird besonders in angespannten Situationen der unliebsamste Kanal am schnellsten blockiert.

Fallbeispiele

Tim ist 13 Jahre alt, mag Tiere ebenso wie die Natur und ist sehr bewegungsfreudig, jedoch nicht sportlich. Er ist sehr kommunikativ, redet gerne mit anderen Menschen, zum Leidwesen der Lehrer*innen auch gerne im Unterricht mit seinen Mitschüler*innen. Mit den Mädchen seiner Klasse kommt er besser zurecht als mit den Jungen. Er liebt Musik und Hörbücher. Seit sechs Jahren spielt er Keyboard, sehr gefühlvoll und ausdrucksstark, und kann jedes Musikstück, das ihm bekannt ist, innerhalb von Minuten fehlerfrei nachspielen. Nur das Spielen nach Noten will ihm bis heute nicht glücken, denn Notenwerte umzusetzen, fällt ihm sehr schwer. Zum Glück hat er einen Klavierlehrer, der dies erkannt und sich darauf eingelassen hat, ihm das Begleiten eines Musikstückes ohne Noten in freier Improvisation beizubringen. Sonst hätte Tim, wie er selbst sagt, das Keyboardspielen längst aufgegeben.

In der Schule lässt er sich sehr schnell durch Geräusche ablenken. Sein Gehör ist außergewöhnlich gut ausgebildet. So äußert er in einer Stunde, dass ihn das Ticken der Uhr auf der Fensterbank im Klassenraum nervös mache. Die Lehrerin und seine Mitschüler*innen können es erst wahrnehmen, als sie die Uhr direkt an ihre Ohren halten. Tims größtes Problem sind schriftliche Aufgaben, seien es Hausaufgaben oder Klassenarbeiten. Nach einer Klassenarbeit kann er detailliert beschreiben, welche nervösen Geräusche seine Mitschüler*innen von sich gegeben haben. Der eine klopft mit dem Bleistift, der nächste scharrt unruhig mit seinen Schuhen auf dem Linoleumboden und Ähnliches. Seine Lesekompetenz ist sehr gut ausgeprägt. So liest er mit Betonung und viel Gefühl. Aber Inhalte sprachlich zusammenzufassen, findet er sehr mühselig. Strukturen, Ordnung und alles was mit Mathematik zu tun hat, ist ihm ein Gräuel, und bis heute hat er Schwierigkeiten in den Grundrechenarten. Besonders die Division mag er gar nicht. Aber wenn er mit dem Kartenspiel Limes die Variante mit den Divisionsaufgaben spielt und nicht gleichzeitig schreiben muss, scheinen ihm Aufgaben leichter zu fallen. Sicherheit in der Rechenart gewinnt er auch auf diesem Wege. Im Kontext von Klassenarbeiten helfen ihm vor allem zwei Strategien: Zum einen darf er sich bei Bedarf in einen Nebenraum setzen, um ungestört seine Arbeit schreiben zu können, und zum anderen erhält er nicht alle Aufgaben der Klassenarbeiten, sofern sie sehr umfangreich ausfallen, sondern nur eine bis zwei. Denn eine Mathematikarbeit mit 14 Aufgaben wirkt auf ihn wie ein unüberwindbarer Berg. An kleinere, überschaubare Portionen aber wagt er sich eher heran.

Matthias besucht die sechste Klasse eines Gymnasiums. Als er seine Mathematikarbeit zurückerhält, ist er ganz und gar nicht zufrieden. Nur eine 4 – . Er blickt auf die Aufgaben und wundert sich. „Ich weiß auch nicht, warum ich die beiden Aufgaben nicht gerechnet habe. Die kann ich! Da bin ich mir ganz sicher. An mangelnder Zeit kann es nicht gelegen haben, denn der Kommentar seines Lehrers unter der Arbeit lautet: „Matthias, warum hast du schon 20 Minuten vor Schluss abgegeben?“ Seine mündliche Note ist eine glatte 2, seine schriftlichen Arbeiten senken den Schnitt um eine bis zwei Noten. Matthias ist immer froh, wenn er abgeben kann und diese lästigen schriftlichen Arbeiten hinter sich hat. Sein Lehrer lässt sich auf einen Versuch ein: Während der nächsten Arbeit erinnert er Matthias daran, eine Pause einzulegen – nur zwei bis drei Minuten. In dieser Zeit achtet dieser bewusst nicht mehr auf die Arbeit, sondern entspannt sich und lauscht nur den Geräuschen, die er um sich herum wahrnimmt. Er konzentriert sich bewusst auf seinen Hörkanal, den von ihm bevorzugten Wahrnehmungskanal, und schaltet den visuellen Kanal, der eher überlastet zu sein scheint, damit aus. Nach der kurzen Pause arbeitet er schriftlich weiter. Insgesamt macht er drei kleine Pausen, nutzt die gesamte Zeit für die Klassenarbeit und kann an dem Ergebnis ablesen, dass es sich gelohnt hat. Unter der nächsten Arbeit ist die Note 2 – vermerkt.

Besonders in Bezug auf Kinder, die den visuellen Kanal weniger nutzen als andere Wahrnehmungskanäle, hört man wiederholt ähnliche Aussagen. Die mündliche Mitarbeit wird in der Regel besser bewertet als die schriftlichen Arbeiten. Häufige Kritikpunkte sind die Heftführung und eine unleserliche, unsaubere Handschrift. Mit Blick auf die Tatsache, dass jeder Ausbildungsweg mehr oder weniger das Arbeiten mit Texten erfordert, ist es jedoch durchaus wichtig, auch den visuellen Kanal ausreichend einsetzen zu können.
Wenn man Schüler*innen Wissen über die Sinnes- und Wahrnehmungskanäle vermittelt, finden sie es in der Regel sehr spannend, sich daraufhin die Lehrmethoden der Lehrer*innen anzuschauen und diese einzuordnen zu versuchen. Danach können sie unter anderem sehr genau abschätzen, in welchen Fächern ihre mündliche Mitarbeit stark ins Gewicht fällt oder in welchem Fach sie damit rechnen müssen, dass Hefte eingesammelt und benotet werden, obgleich die Lehrer*innen dies nicht angekündigt haben. Einem*einer Schüler mit solchem Wissen kann die Wahl gelassen werden, in welchen Fächern er im nächsten Halbjahr die Heftführung optimieren will.

Vorsicht ist vor allem bei Tests angezeigt, die nur allzu schnell den Lerntyp bestimmen wollen. Besonders Legastheniker*innen lassen sich hier anführen: Viele sind visuelle Lerntypen, allerdings können sie sich ihre Fähigkeiten beim Erkennen und Umsetzen von Buchstabenbildern oft nicht zunutze machen.

Weitere wichtige Faktoren

Es gibt durchaus andere Faktoren, die eine ebenso wesentliche Rolle spielen. Dazu gehört die Art und Weise der Lernstoffvermittlung, das heißt, die gleichen Lerninhalte können entweder spannend verpackt oder langweilig dargeboten werden. Entscheidend ist, ob der*die Lehrende von dem, was er unterrichtet, selbst begeistert ist. Wenn jemand mit Begeisterung erzählt, Bilder spannend einsetzt und seine Zuhörer*innen wahrnimmt, somit ehrlich bemüht ist, den Stoff zu vermitteln, reagieren Schüler*innen neugierig und entspannt, können Neues wesentlich leichter Neues aufnehmen und hören interessierter zu.

Maßgeblich ist auch, wie groß und abwechslungsreich die Palette der Lernmethoden eines*einer Lehrenden ausfällt, ob der*die Lernende genügend Vorkenntnisse aufweist, um neue Informationen mit bekannten Inhalten zu verknüpfen, über die Fähigkeit verfügt, Strukturen zu erkennen und abstrakte Inhalte umzusetzen imstande ist.

Fazit

Da wir im Alltag alle Wahrnehmungskanäle benötigen, ist es also nicht hilfreich, eine vorschnelle Typisierung vorzunehmen. Auch unsere Wahrnehmungsfähigkeiten sind veränderbar, da wir ja ständig Neues lernen können. Vielmehr geht es darum, Fähigkeiten auszuweiten, auch durch neue Methoden. In jedem Fall ist es hilfreich, wenn Kinder sich den Lernstoff über möglichst viele Sinneskanäle einprägen. Denn je mehr Wahrnehmungsfelder beteiligt sind, desto mehr gedankliche Verknüpfungen können hergestellt werden. Das steigert die Aufmerksamkeit und die Lernmotivation gesteigert, sodass größere Lernerfolg erzielt werden können.