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Werteorientierung und Traditionen in der Schule

Kinder wachsen in einem sozialen und kulturellen Umfeld auf, in dem bestimmte Werte vorherrschen. Eine Schlüsselrolle in der Vermittlung von Werten an die heranwachsende Generation, der sogenannten Wertetransmission, kommt dem familiären und dem schulischen Umfeld zu. Innerhalb der Familie geben wichtige Bezugspersonen, zum Beispiel Eltern und Großeltern, ihre Werte an die Kinder weiter. Aktueller Forschung zufolge nehmen Kinder eine aktive Rolle in diesem Prozess ein und verfügen schon relativ früh über ein erstaunlich differenziertes Verständnis ihrer Ziele und Wünsche. Dementsprechend sind sie in der Lage, selbst Auskunft über ihre Werthaltungen zu geben (Makarova et al., 2018). Mit der Einschulung treten Kinder in ein neues Lernumfeld ein, in dem sowohl Wissen als auch Werte vermittelt werden. Jede Schule verfügt über ein für sie charakteristisches Werteprofil – über geteilte Ziele, die als besonders wichtig erachtet werden. In den letzten Jahren sind neben klassischen Leistungszielen auch Werte wie Gemeinschaft, Tradition und selbstbestimmtes Lernen in den Vordergrund getreten (Döring, 2010). Zudem spielt das Thema Werte eine immer größere Rolle in Bildungsinitiativen.

Der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule umfasst somit neben der Vermittlung konkreter Inhalte und der Entwicklung von Kompetenzen den Aufbau von Wertvorstellung. Um welche Werte es sich dabei genau handelt, ist in den Verfassungen der Bundesländer verankert.

Exemplarisch finden sich die folgenden:

  • Ehrfurcht vor allem Lebendigen,
  • Nächstenliebe,
  • Frieden,
  • Erhaltung der Umwelt,
  • Heimatliebe,
  • sittliches und politisches Verantwortungsbewusstsein,
  • Gerechtigkeit,
  • Achtung vor der Überzeugung von anderen,
  • berufliches Können,
  • soziales Handeln und
  • freiheitlich-demokratische Haltung.

Diese sind in den Lehrplänen konkretisiert.

Am Beispiel des niedersächsischen Kerncurriculums für das Gymnasium Schuljahrgänge 5 bis 10 in der Fassung von 2017 heißt es etwa:

„Es ist notwendig, dass sich die Schülerinnen und Schüler eigenständig und nachdenklich mit den Bedingungen und Grundlagen philosophischer, weltanschaulicher und religiöser Fragen und Wertvorstellungen befassen“ (S. 6)

Im Kerncurriculum für die Integrierte Gesamtschule Schuljahrgänge 5 bis 10 von 2020 findet sich der Hinweis: „Die Schülerinnen und Schüler orientieren sich anhand von Hilfsmitteln in ihrem sozialen und räumlichen Umfeld. Sie kennen unterschiedliche Möglichkeiten der Gestaltung ihrer Freizeit. Davon ausgehend lernen sie Gelingensbedingungen und Regeln für das soziale Miteinander kennen“ (S. 18).

Auch in anderen Lehrplänen sind entsprechende Passagen enthalten, so etwa im sächsischen Lehrplan für Grundschulen in der Fassung von 2019: „Ausgehend von der eigenen Lebenswelt, einschließlich ihrer Erfahrungen mit der Vielfalt und Einzigartigkeit der Natur, setzen sich die Schüler zunehmend mit lokalen, regionalen und globalen Entwicklungen auseinander. Dabei lernen sie, Auswirkungen von Entscheidungen auf das eigene Leben, das Leben anderer Menschen, die Umwelt und die Wirtschaft zu erkennen und zu bewerten. Sie sind zunehmend in der Lage, sich bewusst für Nachhaltigkeit einzusetzen und gestaltend daran mitzuwirken.“

Ziel der schulischen Werteerziehung ist es, auf ein gelingendes Miteinander in einer demokratischen und vielfältigen Gesellschaft vorzubereiten. Dabei zeigt sich Schule als Gesellschaft im Kleinen in ihrer gesamten Heterogenität aus Herkunft, kultureller Identität, religiöser Sozialisation, Alter, Geschlecht, familiärer und sozioökonomischer Hintergründe.

Je älter die Schülerinnen und Schüler sind, umso bewusster findet die Auseinandersetzung mit eigenen, anderen und gemeinsamen Wertvorstellungen statt. Erst wenn die Vielfalt der Mitschülerinnen und Mitschüler in der Klassen- und Schulgemeinschaft nicht nur wahrgenommen, sondern ihr aktiv und interessiert begegnet wird, können sich gegenseitige Wertschätzung und Toleranz entwickeln.

Wertschätzung im Schulalltag

Wenn Werte, Rituale und Traditionen in einen (be)wertungsfreien Vergleich münden, findet ein Austausch auf Augenhöhe statt, der gegenseitiges Interesse, Respekt und Wertschätzung impliziert. Einen ergiebigen Zugang dazu bietet die Sprache: Das tägliche Ritual des Begrüßens und Verabschiedens vor dem Hintergrund der sprachlichen Vielfalt in einer Klasse sowie der Sprachen der Welt verbindet Werteorientierung mit fachlichen und überfachlichen Zielen der Schule und regt Sprachbetrachtungen an.

Begrüßung                  Verabschiedung                     Sprache

Guten Morgen             Auf Wiedersehen                   deutsch

[Sabah al kheir]          [Salam]                                   arabisch

[Dobroye utro]           [do svydányya]                      russisch

Jó reggelt                    Viszontlátásra                        ungarisch

[dobroho ranku]         [do pobachennya]                  ukrainisch

Zu einem wertebasierten Miteinander im Schulalltag gehört auch die gemeinsame Interaktion der Lernenden. Dabei lernen die Kinder vom Rollenvorbild der Lehrperson, sich wertschätzend auszudrücken sowie Kritik angemessen zu formulieren, auszuhalten und anzunehmen. Die Schülerinnen und Schüler werden beispielsweise durch Wortkarten angeregt, sich ebenfalls wertschätzend auszudrücken.

Impulse für wertschätzende Rückmeldungen im Unterricht

Ich möchte dich loben für …

Mir gefällt an dir, dass …

Ich finde toll, dass wir …

Heute habe ich von dir … gelernt.

Danke für deine Hilfe bei …

Ich würde mich freuen, wenn du beim nächsten Mal …

Ich würde gern noch … von dir wissen.

Es ist nicht zu bestreiten, dass die Ausgestaltung des Familienalltags sowohl früher als auch heute überwiegend in der Hand der Frauen und Mütter liegt, dass Traditionen von ihnen weitergetragen werden. So obliegen zum Beispiel die Vorbereitung und die Organisation von Familienfesten in der Regel noch der Frau. Durch die zunehmende Frauenerwerbstätigkeit bleibt jedoch immer weniger Zeit, Traditionen und Rituale in der Familie zu pflegen. So verwundert es nicht, dass Kindergeburtstage im Schnellimbiss gefeiert werden oder das Weihnachtsfest zu einem bloßen Fest der Geschenke geworden ist.

Als Konsequenz der Veränderung der Bedeutung von Tradition und Brauchtum in der Familie kommt vor allem den Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen eine neue Bedeutung im Bereich der Fest- und Feiergestaltung zu. Bei einer ausgewogenen Sinn- und Werterziehung sowie ganz besonders im Bereich der religiösen Erziehung spielen Brauchtum, Traditionen und Rituale eine wichtige Rolle. Auch sind zum Beispiel Hilfen und Anregungen anzubieten, wie Feste und Feiern im Familienkreis neu belebt werden können. Dabei kann auf die Erlebnisse und Erfahrungen der älteren Generation zurückgegriffen werden. Kinder sind sehr daran interessiert, zu erfahren, wie es früher einmal war. So stellen Fragen wie Was hast du an deinem Geburtstag erlebt, als Du ein Kind warst? keine Seltenheit dar. Kinder haben bereits ein ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein und ein engeres Verhältnis zur Überlieferung, als wir Erwachsene es oftmals wahrhaben wollen. Es ist sicher richtig, dass Kinder sich in unserer heutigen Welt zurechtfinden müssen. Das schließt jedoch nicht aus, dass auch die Vergangenheit mit ihren tradierten Überlieferungen erhalten bleiben muss und nicht durch neuzeitliche Errungenschaften und Trends verdrängt werden darf.

Kinder brauchen Erfahrungen und Erlebnisse im Umgang mit Traditionen, denn dies gibt ihnen ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit. Oft müssen sie nämlich heute in den verschiedensten Lebenslagen Verluste hinnehmen. Immer wieder erleben sie, dass das, was heute noch da war, sich morgen schon verändert hat. Das macht Angst. Nur wenn Kinder sich fest verwurzelt fühlen, können sie die Herausforderungen unserer Zeit bewältigen. In der Auseinandersetzung mit dem soziokulturellen Wandel erfahren sie aber zugleich, dass Veränderungen normal und Teil des heutigen Lebens sind, sodass sie diese eher akzeptieren können.

Referenzen

Döring, A. K., Blauensteiner, A., Aryus, K., Drögekamp, L., & Bilsky, W. (2010) Assessing values at an early age: The Picture-Based Value Survey for Children (PBVS–C). Journal of Personality Assessment, 92(5), 439–448. https://doi.org/10.1080/00223891.2010.497423

Makarova, E., Herzog, W., Trummer, K. & Frommelt, M. (2018). Werte in der Familie – Wertevermittlung durch Erziehungsziele und Werthaltungen der Eltern. In A. K. Döring & J. Cieiuch (Hrsg.), Werteentwicklung im Kindes- und Jugendalter (S. 55–76). Warschau: Liberi Libri.