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Überforderung und Unterforderung

Was bedeutet es, überfordert zu sein?

Eine Überforderung liegt vor, wenn eine Leistung erwartet wird, die Fertigkeiten, Fähigkeiten, Ressourcen oder Kenntnisse überschreitet. Entsprechende Situationen treten nicht nur in der Schule auf, sondern ebenso im Alltag.

Überforderung in der Schule

Wie steht es im Falle von Kindern, die im schulischen Lernen überfordert sind? Was gilt es hier zu berücksichtigen? Ständige Überforderungssituationen bedeuten, dass man dem aktuellen Stoff nicht folgen kann. Die Lücken vergrößern sich, vor allem, wenn Grundkenntnisse fehlen und es sich um aufbauenden Stoff handelt. Dies hat Schwierigkeiten in der Konzentration und der Aufmerksamkeit zur Folge – ein unangenehmer Zustand. Die Betroffenen stecken in einem Teufelskreis. Hier gibt es häufig keinen anderen Weg, als die Lücken zu schließen. Darum muss man im Lernstoff zunächst zurückgehen, bis das Kind ihm problemlos folgen kann. Oft ist es so, dass Eltern und Kinder zwar einsichtig sind, der Schulalltag jedoch Anforderungen mit sich bringt, die dem entgegenstehen. Schließlich geht das Unterrichtsgeschehen voran, und neuer Stoff kommt hinzu. Das heißt, zusätzlicher Zeitaufwand ist erforderlich, um sich neben den täglich anfallenden Hausaufgaben mit Lernlücken zu beschäftigen. Je nachdem, wie groß diese sind, sollten Sie sich professionelle Hilfe holen und einen Rahmen finden, der für Ihr Kind überschaubar ist. Schließlich braucht es auch Freizeit.

Beobachten Sie Ihr Kind beim Lernen genau

Kinder beim Lernen aufmerksam zu begleiten, heißt für uns Erwachsene unter anderem, dass wir erforschen, worin genau Unaufmerksamkeit und Unkonzentriertheit begründet liegen. Wir müssen herausfinden, wo und wann unsere Kinder überfordert sind.

Es ist sinnvoller, jeden Tag 10 Minuten zusätzlich zu investieren, um Lücken zu schließen, als einmal in der Woche 1 bis 2 Stunden. Dabei sind Interesse und Motivation ebenfalls von Bedeutung. Das Kind sollte verstehen, warum es diesen Mehraufwand betreiben soll.

Verständnisvolle Sätze sind hilfreicher als Ermahnungen. Und sicherlich kennen Sie das Phänomen tatsächlich. So hat Ihnen bestimmt auch schon mal jemand etwas erklärt, und Sie haben vorgegeben, es zu verstehen, aber in Wirklichkeit…

Fragen Sie die Kinder! Zugegebenermaßen erfordert es etwas Übung, konstruktive Fragen zu finden. Manchmal scheint es schneller zu gehen, wenn wir eine Lösung vorgeben oder die Kinder auffordern, einfach unseren Ratschlägen zu folgen. Das Geheimnis dauerhaften Erfolgs liegt jedoch darin, selbst Lösungen zu finden oder sie zumindest gemeinsam zu entwickeln. Wenn Kinder lernen, dass jede Frage ihre Berechtigung hat, dass es keine dummen Fragen gibt, fragen sie, falls sie direkte Hinweise wünschen.

Akzeptieren Sie auch wiederholtes Fragen

Aus vielen Gesprächen mit Kindern ist uns bekannt, dass sie auch Menschen begegnen, die auf wiederholte Fragen mit abschätzigen Kommentaren reagieren.

Auch eine wiederholte Frage heißt nicht zwangsläufig, dass ein Kind nicht zugehört hat. Ist es doch mal der Fall, dann ist es eben so. Die Hauptsache ist doch, sie trauen sich nachzufragen – notfalls nochmal und nochmal. Wichtig ist, dass Kinder und Heranwachsende in ihrem direkten Umfeld auf Menschen treffen, die offen sind für Fragen und diese nicht durch abwertende Kommentare, ironische Bemerkungen, Schuldzuweisungen oder allgemeine Floskeln im Keim ersticken.

Die meisten Schüler*innen haben ein sicheres Gespür dafür, welche Menschen, seien es Lehrer*innen, Eltern oder andere Personen in ihrem Umfeld, diese Bedingungen erfüllen. Ihre Wahrnehmung funktioniert in diesem Bereich in der Regel ausgezeichnet.

Nachstehend zwei Fallbeispiele aus der Praxis:

Marcel ist ein aufgeweckter, neugieriger Junge, der als hyperaktiv diagnostiziert wurde. Im Unterricht wirkt er oft motorisch unruhig und ist mit seinen Augen und Ohren überall gleichzeitig. Dennoch bekommt er alles mit, und ruft die Lehrerin ihn unvermittelt auf, weil sie glaubt, er habe nicht aufpasst, hat er dennoch sofort die richtige Antwort parat. Marcel beklagt sich, dass ihm stets unterstellt werde, nicht zugehört zu haben, wenn er nachfrage. „Aber“, so erklärt er, „ich habe es nur nicht verstanden.“

Nach einem längeren Gespräch wurde ihm bewusst, dass die Lehrerin falsche Schlüsse aus seiner motorischen Unruhe zog. Er mochte sie und war sich sicher, dass er ihr und sich selbst helfen könne, wenn er seine Fragen anders formuliere. Statt beispielsweise „Wie geht das?“ zu fragen, wollte er beim nächsten Mal Folgendes ausprobieren: Er nahm sich vor, anders anzusetzen: „ Frau H., ich habe gehört, was Sie gesagt haben, aber ich habe es trotzdem nicht verstanden. Können Sie es mir noch einmal anders erklären?“
Es fiel unmittelbar auf fruchtbaren Boden.

Ermutigen Sie Ihr Kind, Fragen zu stellen.

Nils besucht die 9. Klasse einer Förderschule Lernen. Es ist ihm sehr wichtig, vor seinen Mitschüler*innen cool zu wirken. Trotz seiner Beeinträchtigung ist er sehr wissbegierig und hat viele Fragen. Eines Tages fragt er: „Können Sie mir den Unterschied zwischen Geschichte und Erdkunde erklären? Ich hab bis heute nicht kapiert, wo der Unterschied ist.“ Eine Erklärung, die er seiner Aussage zufolge gut nachvollziehen konnte, kommentiert er wie folgt: „Ich glaube, die anderen in meiner Klasse wissen das alle, und wenn ich das meinen Lehrer frage, macht der sich nur lustig und sagt: „Das ist doch nicht dein Ernst, dass du das immer noch nicht weißt.““

Nils weiß sehr genau einzuschätzen, wen oder was er in der Schule fragen kann, vor allem, ohne sich lächerlich zu machen. Manchmal versteifen sich Eltern darauf, dass ihre Kinder die Lehrkräfte fragen sollten: „Das musst du den Lehrer fragen!“, „Wofür gibt es den denn?“, „Das soll der dir mal erklären!“ Andere beklagen sich: „Die macht nur den Mund nicht auf! Wenn die sich trauen würde nachzufragen, würde sie…“ Untermauert werden solche Sätze gerne mit Kommentaren wie: „Du bist bestimmt nicht die Einzige, die das nicht verstanden hat.“

Das mag alles stimmen. Es setzt aber voraus, dass Fragen wohlwollend aufgenommen werden, dass Schüler*innen ermutigt werden, Fragen zu stellen, dass wiederholte Fragen nicht gewertet werden als „vorher nicht aufgepasst“. Ermutigen Sie Ihre Kinder, Fragen zu stellen, beobachten Sie, wie Sie selbst auf Fragen Ihrer Kinder reagieren und vertrauen Sie deren Wahrnehmung.

Unterforderung

Ebenso wie durch Überforderung können unsere Aufmerksamkeit und Konzentration durch Unterforderung beeinflusst werden. Wer hört sich schon mit Begeisterung mehrmals das Gleiche an, wenn es doch sicher abgespeichert ist? Dann schalten wir einfach ab. Unser Gehirn möchte gerne (frisches) Futter haben. Bekommt es immer wieder zu wenig oder stets dasselbe, kommen Langeweile, Desinteresse und Müdigkeit auf. Um unserem Gehirn Abwechslung zu verschaffen, nutzen wir unsere Fantasie. Im Außen kann das bedeuten, dass wir unaufmerksam werden und nicht mehr bei der Sache sind. Darüber hinwegzugehen und diese Tatsache nicht anzuerkennen, kann auch im Falle von Unterforderung zu einer Verweigerungshaltung oder psychischen Symptomen führen.

Ganz gleich, ob Ihr Kind unaufmerksam, unkonzentriert, über- oder unterfordert ist oder wirkt, benennen Sie es, ohne es zu verurteilen. Zeigen Sie Mitgefühl, verzichten Sie auf wertende Äußerungen und bieten Sie Ihre Unterstützung an, damit sich Lernsituationen angenehmer und entspannter gestalten. Wenn Ihr Kind sich schlecht konzentrieren kann, sollten Sie beobachten, ob dies in allen Fächern der Fall ist oder nur in einzelnen Fächern beziehungsweise im Zusammenhang mit bestimmten Aufgaben.

Konzentrationsschwierigkeiten bei bestimmten Lerninhalten weisen auf andauernde Überforderung und Lücken hin. Sich mit ihnen auseinanderzusetzen, kostet viel Energie. In der Folge ist die individuelle Lernbatterie schnell leer. Üben und nochmals üben ist häufig nicht die Lösung des Problems. Vielmehr müssen Sie im Stoff zurückgehen, und zwar bis zu dem Punkt, an dem Ihr Kind noch in der Lage ist, den Lerninhalten sicher und konzentriert zu folgen.