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Kinder lernen in allen Situationen – besonders von Vorbildern. Je jünger sie sind, desto mehr ist das der Fall. Jedes Kind achtet auf das Handeln von Eltern und anderen Erwachsenen. Auf diese Weise schafft es sich die Realität, die es braucht, um in der Welt zurechtkommen zu können.
Das bedeutet auch, dass sich Erwachsene ihrer Vorbildfunktion ständig bewusst sein müssen, und das nicht nur in bewussten Situationen, nicht nur in der direkten Interaktion mit dem Kind, sondern gerade dann, wenn sie sich unbeobachtet fühlen.
Eine Mutter, die zum Beispiel Süßigkeiten verpönt, sich aber immer wieder, vermeintlich heimlich, ein Stück Schokolade gönnt, wird Kinder niemals von ihren Worten überzeugen können.
Das Gleiche gilt für die Vorbildfunktion von älteren Geschwistern. Sie haben sicher schon beobachtet, dass ein jüngeres Kind die Gesten seines älteren Geschwisters nachahmt. Der Straßenverkehr ist hier immer ein gutes Beispiel:
Kinder, die ihre Geschwister beim Überqueren der Straße beobachten oder begleiten, ahmen deren Verhalten nach. Kinder, deren Geschwister bewusst auf den Straßenverkehr achten, werden eher ein ähnliches Verhalten zeigen.
Es ist also sinnvoll, Kindern nur das beizubringen, was man selbst voll unterstützt.
Im Alltag gibt es unzählige Möglichkeiten, Kinder einzubeziehen und sie spielerisch und ohne erhobenen Zeigefinger lernen zu lassen. Oft merken sie nicht, dass sie etwas Neues lernen, und wenn sie es dann geschafft haben, sind sie mächtig stolz.
Machen Sie den Alltag zu etwas Besonderem, indem Sie die Kinder in alle Aktivitäten einbeziehen. Schaffen Sie keine künstlichen Lernfelder, sondern nutzen Sie die Ressourcen des täglichen Lebens.
Gelegenheiten für alltägliches Lernen
Die Lerngelegenheiten im Alltag sind so vielfältig wie abwechslungsreich. Kinder lernen in allen Situationen, etwa beim Spielen und Basteln, beim Backen und Toben.
Bereits das An- und das Ausziehen stellen wertvolle Lernsituationen dar. Sicherlich geht es am Anfang schneller, wenn die Eltern helfen oder es selbst übernehmen. Es ist ein gutes Gefühl, etwas selbst tun zu können. Kinder reagieren stolz, wenn sie sich selbstständig anziehen oder ihre Jacke zumachen können. Selbständig auf die Toilette gehen zu können, bedeutet für sie ein weiteres Stück Freiheit und gibt ihnen Vertrauen in das, was sie tun. Auch die scheinbar kleinen Aufgaben, wie das Essen mit Messer und Gabel und das richtige Händewaschen sind Lernfelder, die ihnen viele Fähigkeiten abverlangen.
Die Freispielzeit wird von Außenstehenden oft unterschätzt. Häufig sind sich nicht einmal die Fachkräfte selbst dessen bewusst, wie groß die Lernmöglichkeiten in diesem Bereich sind. Lernen beginnt hier, wenn Kinder selbst entscheiden, was sie tun wollen. Einerseits achten sie auf ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse, andererseits müssen sie sich an bestehende Regeln halten. Das Freispiel bietet zudem eine Fülle von Lernmöglichkeiten im sozial-emotionalen Bereich. Die Kinder müssen sich in die Gruppe einfügen und den Mut haben, Fragen zu stellen, mit Enttäuschungen umgehen oder Lösungen finden, sich an Regeln halten und Vorgaben befolgen.
Auch der kognitive Bereich bietet Anregungen. Farbenlehre zum Beispiel ist mehr als nur die Frage nach Buntstiften. Gerade Kinder, die Schwierigkeiten haben, Farben zu erkennen und zu benennen, reagieren verärgert, wenn sie zu einem Farblernspiel aufgefordert werden. Ganz unbewusst lernen sie jedoch, wenn Eltern oder Fachkräfte sie nach der blauen Decke fragen, sie die rote Schachtel holen lassen oder die grüne Tasse brauchen. Auch, wenn sie erwähnen, wie schön die rote Rose blüht oder dass der schwarze Eimer gefüllt ist, fördern sie das Farbverständnis der Kinder. Wenn sie nicht sofort die richtige Farbe erkennen, fühlen sie sich in einer solchen Situation nicht so ausgeliefert, wie wenn sie beim Spielen immer wieder nach den falschen Steinen greifen.
Das Zählen, das auch im Alltag funktioniert, sollte auf die gleiche Weise gewürdigt werden. Eltern und Fachkräfte können ein Kind bitten, drei grüne Stifte zu holen, zwei Stühle aufzustellen, vier Äpfel wegzubringen. Oftmals zählen sie daraufhin mit großer Freude – unbewusst. Und wenn sie dann noch gelobt werden, ist die Freude groß.
Sozial-emotionales Lernen hat ebenfalls einen hohen Stellenwert im Alltag. Alle Situationen, in denen Kinder von anderen Menschen umgeben sind, tragen zum sozial-emotionalen Lernen bei. Schon das Leben in der Familie bietet Möglichkeiten. Indem sie sich in einer Gruppe von Kindern zurechtfinden müssen, kommt ein besonders wichtiger Faktor hinzu. Kinder müssen sich mit vielen Gleichaltrigen auseinandersetzen und mit unterschiedlichen Charakteren zurechtkommen. Dabei wird es immer wieder vorkommen, dass sie sich selbst in den Hintergrund stellen müssen. In anderen Situationen ist es bedeutsam, mutig für die eigenen Bedürfnisse einzustehen.
Im Bereich der Motorik sind ebenfalls viele Chancen verborgen. Beim Malen und Basteln wird die Feinmotorik ebenso geschult wie beim Bauen in der Bauecke oder beim Puzzeln. Eltern und Fachkräfte sollten jedoch davon absehen, Kinder zu etwas Kreativem zu zwingen. Was mit Widerwillen gelernt wird, bleibt nicht hängen. Stattdessen gilt es die Mittel zu nutzen, die das Kind hat und gerne einsetzt.
Kinder können grobmotorische Fähigkeiten durch gezielte Fördermaßnahmen erwerben, aber es gibt unzählige Möglichkeiten in ihrer unmittelbaren Umgebung, dies spielerisch zu erreichen. Es ist wichtig, dass Kinder das Vertrauen ihrer Bezugspersonen spüren. Lassen Sie als Eltern Ihr Kind auf einer Mauer balancieren oder von einem Stein springen. Auch hier sollten Sie nichts erzwingen, denn Kinder sind in der Regel in der Lage, ihre Fähigkeiten zu beurteilen. Vertrauen und das Gefühl, sich auf Unterstützung verlassen zu können, sind auch hier essenziell. Aus Sicherheit gehen Menschen viel mutiger an neue Aufgaben heran.
Eltern und Fachkräfte achten deshalb im besten Fall immer auf die Wünsche der Kinder, geben ihnen Hilfestellung, wo es nötig ist, und ziehen sich rechtzeitig zurück, wenn die Kinder etwas allein umsetzen können.
Der Austausch mit anderen Eltern beziehungsweise Kolleginnen und Kollegen ist immens wichtig. Durch unterschiedliche Wahrnehmungen lässt sich die eigene Haltung reflektieren und zugunsten der Förderung sowie des Forderns anpassen.