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Traumatisierte Kinder in der Schule – Möglichkeiten des Umgangs im Sinne der Integration

Dass Menschen auf der Suche nach Schutz, Sicherheit und einem besseren Leben für sich und ihre Familien sind, hört, liest oder sieht man immer wieder. Aufgrund von Kriegen, Armut, Hunger und Verfolgung suchen Menschen Sicherheit in anderen Ländern. Deutschland ist eines der Länder, in denen Flüchtlinge Schutz finden konnten und können. Bereits in den Jahren 2015 und 2016 wurden viele Flüchtlinge aufgenommen. Sie kamen aus verschiedenen Ländern, beispielsweise aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und Eritrea. Unter ihnen waren Familien, unbegleitete Minderjährige, Frauen und andere gefährdete Gruppen. Es gab viele politische und gesellschaftliche Debatten darüber, welche Maßnahmen für diese Menschen geeignet und angemessen sind und welche Rolle die Aufnahmegesellschaft spielt. Wie sollten sich die Schutzsuchenden verhalten? Was wird von ihnen erwartet? Diese Debatten sind noch lange nicht abgeschlossen, wie die aktuelle Flüchtlingssituation infolge des Russland-Ukraine-Konflikts zeigt. Kinder sind hier eine der am stärksten gefährdeten Gruppen, und einige haben Gewalt miterlebt oder sind selbst Opfer geworden. Manchmal mussten sie trotz ihrer Kindheit mehrere Rollen spielen, mitunter als Soldaten an kriegerischen Auseinandersetzungen teilnehmen und gleichzeitig zur Schule gehen oder Verantwortung für Geschwister übernehmen. Für diese Kinder ist die Bewältigung von Krisensituationen Teil ihres Alltags.

Wie können solche Ereignisse die Kinder stärken, wie können sie diese Erfahrungen verarbeiten und stabil werden und bleiben? Wie können insbesondere auch Lehrkräfte Kinder, die Schreckliches erlebt haben, stabilisieren und mit einfachen Mitteln einen Weg in die Aufnahmegesellschaft ebnen?

Der Kontext Schule

Schule spiegelt das gesamte Spektrum der Gesellschaft wider: Kinder mit reichen Eltern, mit armen Eltern, mit Migrationshintergrund, mit stark national geprägten Eltern, mit bildungsfernen und bildungsstarken Eltern. Infolgedessen gibt es an der Schule viele verschiedene Arten von Problemen. Dazu gehören: Sprachprobleme, kulturelle Missverständnisse, mangelndes Wissen über Normen und Verfahrensregeln in der Schule und in der Gesellschaft, psychologische und geistige Probleme, religiöse Herausforderungen, Lern- und Disziplinschwierigkeiten, abweichendes Verhalten bis hin zu körperlichen Auseinandersetzungen. Diese betreffen Kinder aller Nationalitäten. Das Lehrpersonal ist altersgemischt und deutscher Herkunft. Kenntnisse über andere Kulturen, Religionen, Vorschriften anderer Herkunftsländer sind nur teilweise vorhanden. Deshalb kommen die Fragen auf: Welche Hilfe und Unterstützung brauchen die Lehrkräfte? Verfügen sie über genügend Informationen, um Schülern anderer Herkunft im Allgemeinen und mit jenen mit traumatischen Erlebnissen im Besonderen förderlich umgehen zu können?

Die Flüchtlingsbewegungen waren auch für sie eine Herausforderung. Ein großer Teil hatte bis dahin keine Erfahrung mit Kindern aus anderen Ländern und Kulturen. Einige standen hilflos vor vielen Problemen und hatten Schwierigkeiten, Entscheidungen zu treffen. Lehrkräfte stehen oft schon unter großem Stress. Jede Klasse hat ihre eigenen Merkmale. Wenn sich viele Schülerinnen und Schüler in einer Klasse befinden, deren Herkunftsländer unterschiedlich sind, wird die Situation für das betroffene Personal noch schwieriger.

Hilfreiche Ansätze

Hier wäre es hilfreich, wenn die Lehrkräfte verpflichtend Fortbildungen zu Interkulturalität, Umgang mit Vielfalt, interkulturelle Zusammenarbeit, Sensibilisierung für integrative Themen (Bewusstsein für Vielfalt und Rassismusfragen) besuchen müssten. Es sollte regelmäßige schulinterne Sprechstunden für das Schulpersonal geben, die sich mit dem Thema Umgang mit Flüchtlingskindern beschäftigen und Hilfestellungen anbieten. Auch der Austausch untereinander sollte gefördert werden, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung und Auffälligkeiten dieser Kinder. Dies ist auch als Supervision denkbar. Ein wichtiger Punkt ist die verlässliche Vermittlung von Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Dies wird von allen Seiten, von Lehrkräften, Eltern und auch Kindern, immer wieder gefordert und würde vieles erleichtern. Allzu oft wird DAZ als Erstes gestrichen, wenn es zu personellen Engpässen kommt. Das frustriert alle und hilft niemandem. Auch Kinder, deren Muttersprache Deutsch ist, würden davon profitieren, wenn die Kinder mit Migrationshintergrund dem Unterricht schneller und besser folgen könnten. Sprachmittelnde mit ähnlichem kulturellem Hintergrund und/oder ähnlichen Erfahrungen wie die betroffenen Kinder ermöglichen eine Vermittlung zwischen den Parteien und ein stärkeres Einfühlen. Schulpsychologische Unterstützung ist insbesondere für traumatisierte Kinder von großer Bedeutung. Oft hindern Erfahrungen, Ängste, Sorgen und Nöte, die diese Kinder nicht verarbeitet haben, sie daran, am Schulalltag teilzunehmen. Es ist klar, dass diese Maßnahme kostenintensiv und nicht einfach zu realisieren ist. Sie käme aber allen Kindern zugute. Auch deutsche Kinder oder Kinder aus der zweiten oder dritten Generation von Eingewanderten haben Probleme, aus denen sie oft keinen Ausweg finden.

Gefahr der Fehldiagnostizierung

Hier ist es zudem wichtig, zwischen Traumata, die durch Stabilisierung der Kinder gelöst werden können, und posttraumatischen Belastungsstörungen oder Traumafolgestörungen, die eine Behandlung erfordern, zu unterscheiden. Pädagoginnen und Pädagogen sollten in der Lage sein, zu erkennen, wann die Unterstützung im Rahmen der schulischen Aktivitäten nicht ausreicht, und dann die Möglichkeit haben, psychologische, psychiatrische oder ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Gleichzeitig gilt es, Sensibilität walten zu lassen: So wichtig psychologische und psychotherapeutische Hilfe für viele Flüchtlinge auch sein kann: Die Diagnose ,traumatisiert‘ und die Fokussierung auf Traumata in der Flüchtlingshilfe bergen die Gefahr, Flüchtlinge als Patienten zu stigmatisieren und zu pathologisieren (vgl. Mlodoch 2017: 18). Die Tatsache, dass eine Person traumatische Erfahrungen gemacht hat, bedeutet nicht immer, dass sie behandlungsbedürftig ist, im Gegenteil: Es lässt sich feststellen, dass viele diese Erfahrungen kanalisieren können und insbesondere Kinder mit der beschriebenen Unterstützung ein selbstbestimmtes und erfolgreiches Leben führen können, so Mlodoch (2017). Das primäre Ziel allen pädagogischen Handelns muss die Stabilisierung und Stärkung der Widerstandskraft (Resilienz) der Kinder sein. Erst dann erscheint die Vermittlung von Wissen als denkbar. Das notwendige Vertrauen und die Akzeptanz der Kinder in ihrem Lebensumfeld sollte eine vereinbarte Grundhaltung aller Lehrkräfte sowie weiterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sein. In diesem Zusammenhang ist das Konzept der sequenziellen Traumatisierung von Hans Keilson hilfreich. Er teilt Trauma in drei Phasen ein. Die dritte Phase hat hier eine große Bedeutung, da es in ihr sowohl um die Verarbeitung als auch die Reintegration in die Gesellschaft geht. Gerade Kinder, die nach der traumatischen Erfahrung in eine gute und sichere Situation gelangten, zeigten deutlich weniger Stress- und Traumafaktoren als Kinder, deren Leidensweg, wenn auch anders, aber doch weiterging. Die Kinder machen sich zwar Sorgen um ihre Angehörigen, die im Herkunftsland geblieben sind. Manche von ihnen haben dort beispielsweise Geschwister und ihren Vater und hoffen, dass sie sich bald wiedersehen können. Das alles ist in unterschiedlichem Maß präsent und sollte den Bezugspersonen in der Schule bekannt sein und berücksichtigt werden.

Ermöglichung von Teilhabe und Nutzen von Ressourcen

Kulturelle Vielfalt in der Schule sollte in dem Zusammenhang als Ressource beziehungsweise Bereicherung und nicht als Belastung betrachtet werden. Als wichtig erscheint, dass die Partizipation an der Aufnahmegesellschaft den geflüchteten Eltern ermöglicht wird. Eltern sind entscheidende Partner, wenn es um den Bildungserfolg und die Integration der Kinder geht. Es wird oft gefordert, dass sie die Sprache schnell erlernen. Diese einseitige Forderung beeinträchtigt manchmal ihre Rechte in Verbindung mit dem Thema Schule. Eltern müssen das Bildungssystem verstehen, ins Boot geholt werden und erfahren, was die Schule mit ihren Kindern vorhat. Das gelingt am besten, wenn Vermittler die beiden Kulturen zusammenbringen. Auf diese Weise können die Ressourcen der Eltern genutzt werden, um die Lehrkräfte bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Da dieser Prozess der Zusammenarbeit als ein gemeinsamer Prozess und die Stärkung der Rolle der Eltern darin betrachtet wird, müssen gemeinsam Methoden entwickelt werden, um das Kind auf der Grundlage des Verständnisses der gemeinsamen Ziele zu stärken. Chancengerechte Bildung darf kein Schlagwort bleiben, sondern muss im Team Eltern – Lehrkörper – Kind angestrebt werden. Dabei ist der alleinige Fokus auf Flucht und Migration unzureichend, wenn nicht gefährlich. Wenn ein Kind schwere Erfahrungen machen musste, liegt die Vermutung nahe, dass es über Ressourcen verfügt, an die angedockt werden kann. Des Weiteren ist der Faktor Kommunikationsfähigkeit einer der einfachsten zu übenden und gleichzeitig wichtigsten Faktoren für Kinder, die aus ihrem muttersprachlichen Raum geflohen sind. Diese Kinder müssen nicht nur in ihrer eigenen Sprache Begriffe finden, für das, was sie erlebt haben, sondern auch in einer gänzlich unbekannten Sprache adäquate Beschreibungen, die ihre Situation erklären können. Dabei ist das Erlernen der Sprache im Ankunftsland von herausragender Bedeutung. Wenn man über etwas kommunizieren will, braucht man die entsprechende Sprache, die Worte dafür. Auch aus diesem Grund kommt dem Erlernen der Sprache eine so hohe Bedeutung zu. In den wenigsten Fällen stehen vertrauenswürdige Muttersprachlerinnen und Muttersprachler zur Verfügung, um eine Kommunikation zu gewährleisten. Um insgesamt die Situation an der Schule für alle zu verbessern, ist es wichtig, die Schule interkulturell weiterzuentwickeln.

Das Ziel

Das Ziel ist eine Schule, die sensibel mit Diskriminierung und Rassismus umgeht. Schule sollte ein sicherer Ort für alle sein, Sicherheit in den Regeln, den Anforderungen und Erwartungen und natürlich vor Anfeindungen und Ausgrenzungen. Die Grenzen der pädagogischen Mittel müssen hier ebenso beachtet werden, wenn es um Kinder geht, die aus ihren schweren Erlebnissen eine Traumafolgestörung entwickeln. Hier müssen Pädagoginnen sowie Pädagogen und alle anderen Beteiligten mehr wissen, um die Grenzen zu erkennen, ab wann tatsächlich psychologische Unterstützung angezeigt ist. Gleichzeitig darf nicht hinter jedem abweichenden Verhalten ein Trauma vermutet werden. Dadurch könnten Kinder erst traumatisiert werden, indem sie eine Stigmatisierung erfahren. Ein trauma- und kultursensibler Umgang mit allen Kindern sollte auch von der Schulleitung mit Schulungen und Weiterbildungen gefördert werden. Gerade in der Grundschule, die oft die erste Begegnung mit institutioneller Bildung bietet, in einem Alter, in dem Kinder sich mehr und mehr als eigenständige Persönlichkeiten begreifen, ist es von hoher Bedeutung, dass Kinder optimal gefordert und gefördert werden. Meistens werden in der Grundschule die Grundlagen für schulischen Erfolg oder Misserfolg gelegt. Ein inklusiver Umgang mit Verschiedenheit erfordert ein stetes Vermitteln zwischen Individuum und Gruppe. Aus traumatischen Erlebnissen/Erfahrungen müssen keine Traumafolgestörungen entstehen, wenn dem durch einfache pädagogische Mittel entgegengewirkt wird. Sicherheit, Vertrauen und Akzeptanz sollten alle Kinder ungeachtet ihres Hintergrunds erfahren können. Dieses zu vermitteln, ist eine wichtige Aufgabe für das Lehrpersonal, das in diesem Anliegen massiv unterstützt und befähigt werden muss. Stabilisierung von geflüchteten Kindern (und deren Eltern) ist ein wichtiger Beitrag zur Integration und Inklusion dieser Menschen in die Gesellschaft.

Mlodoch, Karin (2017): Gewalt, Flucht – Trauma? Grundlagen und Kontroversen der psychologischen Traumaforschung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht