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Barrierefreiheit – ein wesentliches Merkmal inklusiver Schulen

Menschen, die mit einer Beeinträchtigung im Bereich der Mobilität, des Sehens oder Hörens leben, können mit Hindernissen beim Zugang zu Bauten oder bei der Nutzung von Anlagen konfrontiert sein. Beispielsweise ist ein Gebäudeeingang mit Treppen für eine Person im Rollstuhl offensichtlich ein Hindernis. Es existieren aber auch Barrieren, die auf den ersten Blick weniger ersichtlich sind, beispielweise, wenn eine Person, die Hörgeräte benutzt, an einer Veranstaltung in einem Raum ohne induktive Höranlage teilnimmt. Hindernisfreies Bauen ist entscheidend für Integration und Inklusion. Die Anpassung des Lebensraums – zum Beispiel von öffentlichen und privaten Gebäuden und Anlagen –, damit dieser für alle Menschen zugänglich und nutzbar ist, stellt eine Grundvoraussetzung für die Partizipation betroffener Kinder, Jugendlicher und Erwachsener mit Behinderung in verschiedenen Lebensbereichen dar. Wir haben uns deshalb mit den Herausforderungen einer barrierefreien Schulanlage befasst.

Inklusives Grundverständnis

Barrierefreiheit ist in Deutschland einer der zentralen Begriffe der öffentlichen Debatte um die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen und die Zugänglichkeit des öffentlichen Raums geworden (Tervooren & Weber, 2012). Der Debatte liegt ein verändertes Verständnis von Behinderung zugrunde: Nicht die Beeinträchtigung einer Person, wie eine körperliche Beeinträchtigung oder eine Sehschädigung steht im Fokus der Betrachtung, sondern Barrieren, die in der Umwelt der Menschen liegen, sorgen für eine Behinderung des Individuums. Aus dieser Perspektive kann prinzipiell jeder Mensch von Barrieren betroffen sein, beziehungsweise durch sie behindert werden (Kastl, 2016). Menschen mit Beeinträchtigungen sind jedoch häufiger und in besonderem Maße von Barrieren betroffen, sodass für sie das Konzept Barrierefreiheit von weitaus größerer Bedeutung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist (Heck, 2012). Im Allgemeinen kann gesagt werden, dass Barrierefreiheit eine Grundvoraussetzung für die Teilhabe aller am öffentlichen gesellschaftlichen Leben ist und somit eine Grundvoraussetzung für Inklusion, dem gemeinsamen Leben von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung (Bethke, Kruse, Rebstock & Welti, 2015).

Speziell in der Architektur hat sich die Begrifflichkeit Barrierefreiheit etabliert. Hier gilt sie mittlerweile als Gütekriterium zukunftsfähiger Gebäude (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, 2016, S. 16). Es wird betont, dass „eine barrierefrei zugängliche Umwelt für etwa 10 % der Bevölkerung zwingend erforderlich, für etwa 30 bis 40 % notwendig und für 100 % komfortabel ist“ (Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, 2003, S. 3).

Barrierefreie Schulanlagen als Teil des inklusiven Schulsystems

In der Debatte um eine inklusive Schulentwicklung, die durch das Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) (United Nations, 2006 / 2008) angestoßen wurde, wird für eine intensivere Berücksichtigung von Barrierefreiheit im deutschen Schulbau plädiert. Dies betrifft nicht nur Klassenzimmer und Fachräume, sondern auch die Außenbereiche, auf die wir heute unseren Fokus richten.

Schulanlagen, die nur für Schülerinnen und Schüler ohne Beeinträchtigungen zugänglich und nutzbar sind, müssen als exklusiv bezeichnet werden, weil dort gemeinsames, also inklusives, Spielen erschwert oder verhindert wird. Gleiches gilt für Spielplätze. Nicht umfänglich barrierefreie Orte weisen also ein erhöhtes Exklusionspotenzial auf und sind als Gegenspieler der Inklusion anzusehen.

Denkt man an aktuelle Schulanlagen oder Spielplätze, dann kommen schnell Spielgeräte als ausschließende Orte in den Sinn, weil diese zum Beispiel für rollstuhlnutzende Menschen häufig nicht zugänglich sind. Oft scheitert es bereits daran, dass das besagte Spielgerät von einem unüberwindbaren Graben aus Sand umgeben oder mit dem Rollstuhl nicht nutzbar ist. Gemeinsames Spielen von gehenden und rollstuhlnutzenden Kindern wird durch die Auswahl der Geräte und die räumliche Struktur beeinflusst. Barrieren dieser Art können leicht durch die Anwendung der sogenannten „Räder-Füße-Regel“ (vgl. Lebenshilfe Wittmund e. V. & Regionales Umweltbildungszentrum Schortens e. V., 2002) in der Planung vermieden beziehungsweise in der Praxis identifiziert werden: Sind alle Angebote für rollstuhlnutzende und gehende Personen durchgängig nutzbar?

Barrierefreiheit bedeutet allerdings mehr als eine rollstuhlgerechte Anlage und betrifft deutlich mehr als die reine bauliche Gestaltung. Beides wird anhand der Definition von Barrierefreiheit deutlich, die im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG, 2002, § 4) verankert ist: „Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Hierbei ist die Nutzung behinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel zulässig“ (Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, 2002 / 2018).

Barrierefreiheit – Wie gelingt das?

Für die Gestaltung von Schulanlagen müssen verschiedene beeinträchtigungsspezifische Bedürfnisse hinsichtlich der barrierefreien Gestaltung bedacht werden. Können beispielsweise Schülerinnen und Schüler mit Hör- oder Sehschädigung den Pausenhof und seine Geräte nutzen? Der Einsatz von Hilfsmitteln wie Rollatoren muss möglich sein. Weiter müssen Barrieren bei der Gestaltung der Systeme der Informationsverarbeitung, beispielsweise Beschilderungen oder Leitsysteme, bedacht werden. Barrieren dieser Art können leicht durch die Anwendung des sogenannten Zwei-Sinne-Prinzips (vgl. Lebenshilfe Wittmund e. V. & Regionales Umweltbildungszentrum Schortens e. V., 2002) in der Planung vermieden beziehungsweise in der Praxis identifiziert werden: Sind alle Informationen durch mindestens zwei der Sinne (Sehen, Hören, Fühlen) wahrnehmbar?

Die Forderung nach Barrierefreiheit betrifft diverse Raumbereiche von Schulanlagen wie Verkehrswege (Haupt- und Nebenwege), Spielgeräte (Schaukel, Rutsche), Sitzgelegenheiten und Rückzugsorte, Materialaufbewahrungsorte (Geräteräume), sportspezifische Räume (Fußballplatz) und Sanitäranlagen. Es gilt nicht allein die Schülerinnen und Schüler, sondern auch Lehrpersonen beziehungsweise Erwachsene jeden Alters (Eltern, Großeltern) zu berücksichtigen.

Ob alle Raumbereiche oder nur bestimmte Spielgeräte für alle potenziellen Nutzenden barrierefrei gestaltet werden, ist eine grundsätzliche Frage, die mehr Aufmerksamkeit bedarf. Für den deutschsprachigen Raum kann ferner festgehalten werden, dass die Thematik Barrierefreiheit von Schulanlagen sowohl bewegungs- als auch erziehungswissenschaftlich bisher allenfalls randständige Beachtung gefunden hat.

Bei akutem Handlungsbedarf bieten die Empfehlungen des Deutschen Instituts für Normung e. V. eine erste Orientierung. Sowohl die DIN-18040-1 „Barrierefreies Bauen-Planungsgrundlagen“, Teil 1: „Öffentlich zugängliche Gebäude“, als auch speziell die überarbeitete DIN 18034 9/2012 „Spielplätze und Freiräume zum Spielen“ leisten Hilfestellung hinsichtlich der barrierefreien baulichen Gestaltung. Darüber hinaus empfiehlt Degenhardt (2018) die Anwendung des Leitfadens Barrierefreies Bauen (Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, 2016).

Grenzen der Barrierefreiheit

Es sollte bedacht werden, dass selbst ein Abarbeiten der DIN-Normen oder ähnlichen Checklisten keine vollkommene Barrierefreiheit für alle sicherstellt. Ein Grund dafür ist die Wirkungsweise von Barrieren. Sie spiegeln eine Wirkungsbeziehung wider, sind „individuell und subjektiv, kontext- und intentionsabhängig und somit auch zeitlich veränderlich“ (Heck, 2012, S. 328). Bedürfnisse hinsichtlich der Barrierefreiheit können gegenläufig sein, also miteinander konkurrieren. So sind Bedürfnisse hinsichtlich der Barrierefreiheit von langstock- und rollstuhlnutzenden Menschen teils andere und baulich bisher nicht immer gleichzeitig umsetzbar (Kastl, 2016, S. 103).

Leidner (2007, S. 33) führt an, dass die Frage „Was ist Barrierefreiheit?“ in den Hintergrund gestellt werden müsse und vielmehr spezifisch zu fragen sei: „Für wen ist was barrierefrei?“. Er schlägt eine Erfassung und Katalogisierung von behinderungsspezifischen Bedürfnissen bezüglich der Barrierefreiheit vor, die dann bedarfsgerecht eingesehen und genutzt werden können. Anders als das katalogisierte Wissen zu den einzelnen Förderschwerpunkten in der Sonderpädagogik, das auf einzelne Nutzergruppen ausgerichtet ist, fragt das Universal Design nach dem größten gemeinsamen Nenner hinsichtlich Maßnahmen der Barrierefreiheit, um dem Dilemma von Bedeutsamkeit und gleichzeitiger Utopie einer vollkommenen Barrierefreiheit zu begegnen. Es folgt dem Ideal, Produkte, Dienstleitungen und Architektur möglichst für alle Nutzergruppen zugänglich sowie nutzbar und somit interessant zu gestalten (Bruhn & Homann, 2013). Erste Ansätze der Übertragung auf Spielplätze gibt es im englischsprachigen Raum (Lynch, Moore & Prellwitz, 2018).

Komplexe Herausforderungen erfordern eine interdisziplinäre Zusammenarbeit. Lehrpersonen sowie Akteurinnen und Akteure aus dem Bereich der Sonder- und Behindertenpädagogik, der Architektur, der Sport- und Spielgeräteindustrie, aber auch Menschen, die von Beeinträchtigungen betroffen sind, müssen bei der Planung von Neubauten beziehungsweise der Umgestaltung von Schulgebäuden und -geländen zusammenarbeiten. Entscheidend ist es, alle Raumbereiche für alle potenziellen Nutzerinnen und Nutzer in den Blick zu nehmen. Bei der Gestaltung und Auswahl von Spielgeräten sind Kreativität und Diskussion vonnöten, gilt es doch auf der einen Seite, sich der Herausforderung zu stellen, diese barrierefrei, also zugänglich und nutzbar, zu gestalten, auf der anderen Seite, ihren Auf- und Herausforderungscharakter zu erhalten, um ihr Potenzial für Bewegungslernen und -bildung zu wahren. Grundsätzlich muss dabei diskutiert werden, ob jede Bewegungsaufgabe von allen bewältigt werden können muss oder ob es als ausreichend anzusehen ist, dass jede und jeder eine Bewegungsaufgabe haben.

Herausforderungen für die inklusive Schule

Inklusiv zu handeln, bedeutet unter anderem, Barrieren wahrzunehmen und diese abzubauen (Bükers, 2017). Das kann eine große Herausforderung darstellen, denn häufig fehlt die Expertise. Einige Projekte bestehen dennoch bereits. Exemplarisch anführen lässt sich „Ab in Pause!“, ein Kooperationsprojekt an der Fakultät Erziehungswissenschaft zwischen dem Arbeitsbereich Bewegung, Spiel und Sport und dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung. In diesem Kontext wurde Pausenhof der Schule Elfenwiese in Hamburg, einer Schule mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung, barrierefrei gestaltet, und zwar spezifisch für Schülerinnen und Schüler mit körperlichen und motorischen Beeinträchtigungen. Besondere Berücksichtigung erfuhren die Qualitätsmerkmale vertikale und horizontale Erreichbarkeit. So wurde unter anderem ein rollstuhlgerechtes Karussell etabliert, das schwellenlos über einen abfedernden Tartanboden zu erreichen ist, oder ein Sandkasten, der höhenverstellbar ist und Menschen das Spielen mit Sand erlaubt, die sich nur unter großem Aufwand oder gar nicht bücken können.

Barrierefreiheit ist eine Grundvoraussetzung für Teilhabe und somit auch für Inklusion. Wo haben Sie Barrieren wahrgenommen? Wir freuen uns über Ihren Bericht.

Referenzen

Bethke, A., Kruse, K., Rebstock, M. & Welti, F. (2015). Barrierefreiheit. In T. Degener & E. Diehl (Hrsg.), Handbuch Behindertenrechtskonvention. Teilhabe als Menschenrecht – Inklusion als gesellschaftliche Aufgabe (S. 170–181). Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.

Bruhn, L. & Homann, J. (2013). Architektur der Gleichstellung. Barrierefreiheit und Partizipation. In L. Bruhn & J. Homann (Hrsg.), UniVision 2020. Ein Lehrhaus für Alle – Perspektiven für eine barriere- und diskriminierungsfreie Hochschule (S. 22-28). Freiburg: Centaurus Verlag Media.

Bükers, F. (2017). Eine Halle für alle. Zur Barrierefreiheit, Zugänglichkeit und Nutzbarkeit von Sporthallen. sportpädagogik (2), S. 38-41.

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (Hrsg.). (2002 / 2018). Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz – BGG). http://www.gesetze-im-internet.de/bgg/index.html

Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (Hrsg.). (2016). Leitfaden Barrierefreies Bauen. Hinweise zum inklusiven Planen von Baumaßnahmen des Bundes. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/bauen/leitfaden-barrierefreies-bauen.pdf?__blob=publicationFile&v=11.

Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (Hrsg.). (2003). Ökonomische Impulse eines barrierefreien Tourismus für alle. Eine Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Kurzfassung der Untersuchungsergebnisse. Zugriff am 10. Oktober 2018 unter https://www.pro-retina.de/dateien/ea_barrierefreier_tourismus_oekonomie.pdf

Degenhardt, S. (2018). „Stell Dir vor, es gibt eine inklusive Schule und Du kommst nicht rein…!“. Barrierefreiheit im Schulbau als notwendiger Teil inklusiver Schulentwicklung. Sonderpädagogische Förderung heute, 63(2), 145–157.

Heck, H. (2012). Barrieren. In I. Beck & H. Greving (Hrsg.), Lebenslage und Lebensbewältigung (S. 328–333). Stuttgart: Kohlhammer.

Kastl, J. M. (2016). Barriere, Barrierefreiheit. In M. Dederich, I. Beck, U. Bleidick & G. Antor (Hrsg.), Handlexikon der Behindertenpädagogik. Schlüsselbegriffe aus Theorie und Praxis (S. 102-103). Stuttgart: Kohlhammer.

Lebenshilfe Wittmund e. V. & Regionales Umweltbildungszentrum Schortens e. V. (Hrsg.). (2002). Natur für alle. Planungshilfen zur Barrierefreiheit – Basisinformationen. Zugriff am 30. August 2019 unter https://ruz-schortens.de/natur-fuer-alle.html?file=files/ruz_schortens/pdf/natur_fuer_alle/PH1_Basisinfo.pdf.

Leidner, R. (2007). Die Begriffe „Barrierefreiheit“, „Zugänglichkeit“ und „Nutzbarkeit“ im Fokus. In P. S. Föhl, S. Erdrich, H. John & K. Maass (Hrsg.), Das barrierefreie Museum. Theorie und Praxis einer besseren Zugänglichkeit (Publikationen der Abteilung Museumsberatung / Landschaftsverband Rheinland, Rheinisches Archiv- und Museumsamt, 24, S. 28–34). Bielefeldt: Transcript.

Lynch, H., Moore, A. & Prellwitz, M. (2018). From Policy to Play Provision: Universal Design and the Challenges of Inclusive Play. Children, Youth and Environments, 28 (2), 12. doi: 10.7721/chilyoutenvi.28.2.0012.

Tervooren, A. & Weber, J. (Hrsg.). (2012). Wege zur Kultur. Barrieren und Barrierefreiheit in Kultur- und Bildungseinrichtungen. Köln: Böhlau.

United Nations (Hrsg.). (2006 / 2008). Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderung sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung. UN-BRK (2006/2008). https://www.un.org/Depts/german/uebereinkommen/ar61106-dbgbl.pdf.